Heute, Donnerstag den 11. März jährt sich der Amoklauf von Tim Kretschmer an der Albertville-Realschule in Winnenden zum ersten mal. Und natürlich hat, wie zu erwarten war, der Medienandrang darüber nicht nachgelassen. Auch wir möchten zu der Thematik noch einmal eine ausschweifende Aufarbeitung verfassen und auf Fehler und Unwahrheiten hinweisen, die von vielen Medienvertretern verbreitet werden.
Am Morgen des 11. März 2009 betrat Tim Kretschmer, ehemaliger Schüler des Albertville-Realschule, bewaffnet mit einer Handfeuerwaffe Typ Beretta 92 das Schulgebäude und eröffnete das Feuer auf Schüler und Lehrer, die sich in den Unterrichtsräumen aufhielten. An diesem Tag ermordete er durch gezielte Schüsse insgesamt 15 Menschen. Nachdem er von der Polizei nach seiner mehrstündigen Flucht gestellt wurde, nahm er sich das Leben. Unmittelbar nach der Tat begann für die Hinterbliebenen der Opfer und für die Medienlandschaft in Deutschland eine erneute Aufarbeitung von Amokläufen. Wie konnte es passieren? Warum hat er es getan? Wie kann ein Mensch zu solch einer Tat nur fähig sein? Und wem kann man die Schuld an diesem Unglück geben?
Fragen über Fragen. Keine dieser Fragen wurde bis heute eindeutig beantwortet, so tragisch es für alle Angehörigen der Opfer von Amokläufen auch ist. Dennoch gibt es Stimmen, die einen eindeutigen Schuldigen ausfindig gemacht haben zu scheinen: „Killerspiele“. Tim Kretschmer spielte, wie auch manche der anderen Amokläufer an anderen Schulen zuvor auch, beispielsweise Robert Steinhäuser in Erfurt, Counter Strike. Das Spielen dieser Spiele, so einer der Aussagen des Aktionsbündnis Winnenden, welches von den Angehörigen der Opfer gegründet wurde, macht aus Menschen Killermaschinen und fördert die Senkung einer Hemmschwelle, ebenfalls einen Amoklauf auszuüben. Eine grundsätzliche Forderung des Bündnisses ist seit ihrer Gründung ein flächendeckendes Verbot von Killerspielen.
Problematisch wird es aber mit der Argumentation. Bis heute wurde keine eindeutige Beweisführung offen gelegt, in der gezeigt wird, dass das spielen von Computerspielen, vorzugsweise von Ego-Shootern und anderen Spielen in denen es möglich ist, Pixelfiguren, wie Menschen und andere Wesen, virtuell zu töten, zu einer Änderung in der Psyche führt. Auch eine gesenkte Hemmschwelle zur Gewalt und Aggressionen sind laut mancher Studien keine Folge vom Spielen solcher Spiele. Bisher ist lediglich bewiesen worden, dass das Spielen von Shootern wie Counter Strike das räumliche Wahrnehmungsvermögen fördet, den Teamgeist und das Reaktionsvermögen stärkt und den Spielern ein strategisches Denkvermögen nahe legt. Bei vielen untersuchten Probanden wurde sogar festgestellt, dass sie nach dem Spielen von Taktikshootern ruhiger waren als vorher. Demnach wurde Aggressionen und Stress sogar abgebaut, sie waren ausgeglichener und entspannter. Für das Bündnis und viele Politiker hat dies aber keine Bedeutung. Wissenschaftliche Erkenntnisse können und werden offen ignoriert, wenn keine einfache Lösung für unseren großen Gesellschaftlichen Problemen zur Hand ist. Stattdessen ruft man zum Boykott von Spielen auf.
Was an der ganzen Problematik vorbei geht, ist die Tatsache, dass es Amokläufe, Mord und Totschlag schon gab, bevor Computer und mit ihnen die Spiele in die Haushalte der Menschen kamen. Außerdem werden alle Spieler dieser Spiele in eine Grauzone der Illegalisierung gerückt. Viele Spiele wurden sogar schon öffentlich an den Pranger gestellt. Spielt man Counter Strike so ist man ein Verbrecher, ein Mörder, ein Amokläufer, ein Heroinsüchtiger, ein Pedophiler . Aufklärung ist völlig inakzeptabel. Das äußerst ignorante Vorgehen zeigt sich aber vor allem in den Medien. Im Tagesspiegel wurde heute ein Artikel veröffentlicht, in welchem Vergleiche zwischen heroinabhängigen Drogenkonsumenten und Spielern von Counter Strike gezogen wurden. Auch heißt es, die Community der Spieler zeige ein aggressives Vorgehen gegen jegliche Versuche ein Verbot von Spielen politisch durchzusetzen. Zusätzlich wird das ganze untermalt durch die Behauptung, man sei als Spielergemeinde als Lobby anzusehen, die Druck auf die Politik ausübe, ebenso wie die Pharma- oder Autoindustrie. Dass dieser Vergleich absolut falsch ist, interessiert den Autor nicht. Eine Antwort zu den Kommentaren in seinem Artikel lässt noch auf sich warten. Spieler, werden hier gezielt als Verbrecher gebrandmarkt und nahezu für vogelfrei erklärt, obwohl es in Deutschland ein Recht und eine Pflicht ist, sich für seine freiheitlichen Rechte einzusetzen. Dass eine mehrheitliche Meinung in Deutschland mittlerweile politisch auf unverschämte Ignoranz stößt, zeigte aber schon die damalige Petition gegen die Zensur des Internets, in der über 134.000 Unterschriften gesammelt wurden. Der Entwurf zum Gesetz wurde damals trotz mahnender Rufe und erhobenen Zeigefingers von Experten in den Bundestag getragen. Erst zwei Jahre nach Inkraft treten hat das Bundesverfassungsgericht den Irrsinn gestoppt.
Ganz falsch ist der Artikel des Tagesspiegels jedoch nicht. Die Behauptung, das Thema wird totgeschwiegen, kann nur mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Was klar fehlt ist Aufklärung über Computerspiele für Eltern und Pädagogen. Und selbst dort, wo es von Kreisen der Spielerschaft angeboten wird, wird es nicht gerne angenommen. Man erinnere sich nur an die Absage der Eltern Lan in München 2009. Heutzutage ist es den meisten Eltern egal was ihre Kinder treiben. Dies zeigt sich täglich an übermäßigen Alkoholkonsum von Jugendlichen. Das Leben lässt sich im Vollrausch für viele Jugendliche leichter ertragen. Bis vor wenigen Jahren war es noch so, dass Eltern, wenn ihre Kinder alt genug waren, eben diese Kinder an verantwortungsbewussten Konsum mit Alkohol selbst heranführten. Sei es auf einem Geburtstag, einem Fest oder zu Silvester das Gläschen Sekt. Heute pubertieren Kinder schon wesentlich früher. Wo früher mit 14 bei den ersten die Pubertät einsetzte ist sie heute bei vielen schon 10 Jahren im vollen Gange. Leidtragende sind die Eltern, die natürlich in diesem Alter kein Interesse haben, ihre Kinder verantwortungsbewusst an Themen heranzuführen, weil es eben noch „zu früh“ ist. Die Kinder suchen sich dann andere Leidensgenossen der Pubertät und fangen schon sehr früh an Grenzen zu überschreiten, die sie nie hätten erreichen sollen. Auch der Konsum von Zigaretten und medialer Konsum, hierzu zählen vorwiegend Spiele und Fernsehen, fallen in diese Phase. Aus Unwissenheit wird Gleichgültigkeit. Kinder bekommen heutzutage alles was sie wollen. Sind es nicht die Eltern, sind es junge Erwachsene, die den Konsum für Kinder und Jugendliche ermöglichen. Hochprozentige Alkoholgetränke? Für drei Euro bekommt man dafür beim nächstgelegen Discounter schon Wodka. Einen Strohmann bekommt man überall her. Die nette Oma an der Fleischtheke, ein Obdachloser, der für einen Euro alles macht oder einfach nur der ältere Junge aus der Nachbarschaft.
Im Artikel des Tagesspiegels wird Gisela Mayer zitiert. Sie ist Mutter der Referendarin, die bei dem Amoklauf von Winnenden durch mehrere Schüsse ermordet wurde.
„Wir sind wahnsinnig vorsichtig, wenn es um unsere Kinder geht, wir passen auf mit Nikotin und Schadstoffen, das Spielzeug hat extra abgerundete Ecken und überall gibt es Jugendschutz. (…). Trotzdem lassen wir zu, dass unsere Kinder sich stundenlang damit beschäftigen, wie man andere Menschen umbringt. Und dann erwarten wir, dass es sie überhaupt nicht verändert, nicht betrifft!“. Desweiteren sagt sie: „Die Jugend muss man vor so etwas schützen, und das geht nicht, indem man bunte Märkchen auf Packungen klebt und sagt: Jugendfreigabe ab 18. Aber dahinter steht einfach eine Wirtschaftsmacht.“
In diesen Worten erkennt man die Verzweiflung, die sie als Mutter mit dem Verlust ihrer Tochter wahrscheinlich ihr Leben lang mitschleppen muss. Allerdings sieht man auch hier das Unwissen und die Naivität, mit der an die Thematik herangegangen wird. Es sollte besser heißen: „Aber dahinter steht einfach eine falsche und ‚Mir doch egal‘-Erziehung der Kinder“ und eine ‚Nicht-mein-Problem‘-Einstellung mancher Verkäufer. Jugendliche und Kinder haben kein Problem an Nikotin zu gelangen, trotz der erwähnten Vorsicht die an den Tag gelegt wird. Wir fragen: „Welche Vorsicht?“ – warum soll es bei Zigaretten und Alkohol reichen, auf den Verpackungen Zettel zu kleben, die vor Gefahren warnen, aber bei Spielen soll ein flächendeckendes Verbot ausgesprochen werden? Hier wird leider wieder deutlich wie naiv und unobjektiv man versucht eine Zensur durchzusetzen, was natürlich sehr tragisch für die gesamte Gemeinde aller Medienkonsumenten ist. Was fehlt ist, wie schon einmal erwähnt, die bedingungslose Aufklärung über Medienkonsum und Computerspiele, die es gilt in jeden Haushalt einzuführen. Und seien es verpflichtende Kurse die angehende Eltern und Pädagogen besuchen müssen um sich der Thematik bewusst zu werden, dass Spiele nicht das sind, was alle behaupten. Spieler sind kein Instrument des Bösen und sie werden auch nicht zu Amokläufern, wenn sie Shooter spielen. Positives Beispiel ist hier die Bekämpfung von Computer- und Spielesucht. Diese wird schon an vielen geschlossenen Einrichtungen erfolgreich und nachhaltig behandelt.
Aber es nützt alles nichts, wenn man stur das Ziel verfolgt ein Verbot einzuführen, nur weil man sich als Elternteil zu sehr bequemt, nichts tun zu müssen, anstatt sich auf die Hinterbeine zu stellen und mit Interesse zu verfolgen, was die eigenen Kinder an ihrem PC machen und was sie bedrückt. Verbote ersetzen keine Erziehung. Die Frage ist, was wird dann als nächstes verboten, wenn nach der Illegalisierung von Computerspielen ein weiterer Amoklauf passiert? Action-, Horror- und Kriegsfilme? Nachrichtensendungen über den Krieg in Afghanistan und im nahen Osten? Märchengeschichten von den Gebrüdern Grimm, wie Hänsel und Gretel die allein im Wald verlassen eine Hexe in ihrem Ofen umbringen oder die altbekannte Bildergeschichte von Wilhelm Busch, Max und Moritz, in der die Protagonisten in eine Kornmühle geworfen und darin umgebracht werden? Gruselige und Spannende Hörspiele von den drei Fragenzeichen oder TKKG? Sogar Wasser könnte nach solch einer ignoranten Themenverfolgung auf einer Verbotsliste landen, denn 100% aller Amokläufer haben in ihrem Leben Wasser konsumiert.
Wir möchten mit diesem Kommentar darauf aufmerksam machen, dass eine Zensur von Computerspielen und anderen medialen Konsumgütern keine Lösung sein kann. Gute und effektive Lösungen gibt es wie Sand am Meer. Nur sollten wir nicht uns nicht dazu herablassen, eine Gesellschaft zu werden, die durch Zensur geprägt ist, nur weil es zu schwierig ist, sich selbst um die Probleme von Kindern zu kümmern, oder sie vor Gefahrenpotentialen aus Medien und Konsum zu schützen. Der sozialkompetente Einsatz in Zusammenarbeit mit eigenen Kindern und Jugendlichen gilt es aufzuarbeiten und zu verbessern, genauso wie die Förderung von Schulpsychologen und Projekten mit und für die Jugendlichen, damit Amokläufe in Zukunft besser präventiert werden können. Dies sollte das erklärte Ziel der Politik sein, keine Verbote. Denn Amokläufe werden sonst wahrscheinlich wieder passieren, ob nun mit oder ohne Computerspiele.