GDC Europe 2009 – Tag 3

Der dritte und letzte Tag der GDC Europe überkreuzte sich mit dem Fachbesuchertag der gamescom. Viele GDC-Besucher nutzten dies und so war die Konferenz bei weitem nicht so voll wie an den Vortagen. An Qualität bei den Vorträgen mangelte es dennoch nicht…

Das Pixel perfektionieren

Der Tag begann mit einem Griff in die Trickkiste von CryTek. Michael Endres und Frank Kitson begrüßten den noch recht leeren Saal und scherzten, dass wohl die meisten die CryTek-Party des Vortages nicht gut überstanden hätten. Ihr Vortrag trug den passenden Titel „perfecting the pixel“ (die Perfektionierung des Pixels). Nach einem Diskurs in die Fotografie und Farbenlehre demonstrierten die beiden Redner, wie Level Designer mit einigen einfachen Farbkorrekturen die Optik und Atmosphäre ihrer virtuellen Welten aufwerten können. Interessanterweise wurde aus dem Vortrag kein Diskurs über den Einsatz von Postprocessor-Techniken, stattdessen lief die Demonstration der Farbkorrektur ganz klassisch ab: In Photoshop. Seit jeher nutzen Fotografen und Designer diese Software, die schon lange zum Industriestandard gehört.

Die Redner :: Perfecting the Pixel (CryTek) Diskurs: Optik :: Perfecting the Pixel (CryTek) Farbfilter :: Perfecting the Pixel (CryTek)

Was aber hat eine Gradationskurve in Photoshop mit einer dynamischen Farbkorrektur in einem Computerspiel zu tun? Es war erneut eine geschickte Demonstration der CryEngine und ihrer Möglichkeiten, den Workflow für Designer möglichst komfortabel zu halten. Mit Hilfe des CryTiffPlugin demonstrierten Endres und Kitson, wie sich eine Farbkorrektur aus Photoshop in wenigen Sekunden auf die CryEngine übertragen lässt. Der Vorteil für Designer: Anhand eines in Photoshop geladenen Screenshots kann mit den Möglichkeiten von Photoshop so lange experimentiert werden, bis das gewünschte optische Ergebnis erreicht ist – ganz ohne Programmierkenntnisse.

Für Staunen sorgte eine Funktion, welche Farbstatistiken eines Bildes erstellt und damit Farbkorrekturen unmittelbar auf die Engine überträgt. Mit der Analyse eines existierenden Bildes konnte damit mit wenigen Mausklicks eine passende Atmosphäre im Spiel erzeugt werden. Endres betonte die Zeitersparnis für Entwickler: Um die Atmosphäre eines Spiels zu verändern, brauche ein Designer so nicht alle Texturen neu zu färben, sondern könne sich einfach an den Möglichkeiten der Farbkorrektur bedienen.

 

Die Integrität eines Computerspiels

mADE – my Academy for Digital Entertainment war als Bildungsträger in Form von Dino Dini vertreten. Sein Vortrag behandelte die Konzeption von Spielen und das Grundprinzip hinter dem Prozess des Designens. Dini bezeichnete Design als eine Methode, sich selber konzeptionelle Einschränkungen zu schaffen. Im Englischen bedeutet sein verwendeter Begriff „constraints“ auch soviel wie Bindung, Geflecht. Daher machte er einen sehr bildlichen Vergleich: „Without bones (constraints), you’d be just a blob on the floor! You’d lose your integrity, your identity.“

Dino Dini :: Design, constraints and integrity (mADE) Dino Dini :: Design, constraints and integrity (mADE)

Zwar minimiere eine Einschränkung die Menge an Möglichkeiten, bestimme damit aber den individuellen Charakter eines jeden Designs. Auf Spiele übertragen verwendete er das Beispiel eines Fußball-Spiels. Hier hatte sich der Entwickler die konzeptionelle Einschränkung gesetzt, mit realistischer Luftreibung zu arbeiten. Dini unterschied zwischen verhandelbaren und nicht verhandelbaren Einschränkungen. Game Designer dürften Änderungswünsche ihres Publishers nicht einfach hinnehmen, ohne diese zu hinterfragen. Sollte eine grundlegende Regel verändert werden, so müsse das gesamte Projekt erneut unter die Lupe genommen werden, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Dini drückte damit auf seine ganz eigene Art und Weise genau das aus, was David Cage bereits am Vortag predigte – Entwickler sollen nach Möglichkeit an ihren Ideen festhalten und sich nicht von Marketing-Leuten hereinreden lassen. Denn genau dies könne das zerstören, was ein Spiel von allen anderen abhebt.

 

Aion

Extra aus Korea angereist war Yongchan Jee, Lead Designer des brandneuen MMORPGs „Aion“. Er gab einen Blick in die Entwicklungsphilosophie dieses recht ungewöhnlichen Spiels, welches sich deutlich von altbekannten Titeln wie World of Warcraft abhebt – sowohl visuell als auch im Gameplay. Jee begründete diese Abkehr vom „me-too“ Charakter vieler MMORPGs damit, dass sich in den letzten Jahren speziell in Asien die Geschmäcker der Spieler stark verschoben hatten, gleichzeitig erlebte Korea, dass mit mehreren verschiedenen Vergütungsmodellen experimentiert wurde. Ein besonderer Aspekt von Aion sei die Möglichkeit, zu fliegen. Dabei berücksichtige Aion auch die etwas action-orientierteren Spieler – eine Zielgruppe, die viele MMOs komplett ausgrenzen. So verfüge Aion über optionale „hardcore controls“, die besonders versierten Spielern mehr direkte Kontrolle über ihren Charakter erlauben sollen. Viele MMOs verzichten aus Balancing-Gründen auf derartige Mechaniken. NCsoft will jedoch ein Balancing darüber herstellen, dass mit besonderen Items ein normaler Spieler („casual gamer“) mit einem Spieler im Hardcore-Modus mithalten könne. Dieser könne dafür auf die zeitraubende Suche nach Items verzichten und sich auf sein persönliches Geschick verlassen.

Yongchan Jee :: AION game design (NCsoft) Yongchan Jee :: AION game design (NCsoft)

À propos items: Die Designer von NCsoft legten besonderen Wert auf die individuelle Anpassung der Charaktere. Items haben in Aion nicht nur einen funktionalen Nutzen, sondern sind auch alle unterschiedlich aufgestyled und sollen so die Gamer ansprechen, die gerne mal ein bisschen mit ihrem Inventar angeben möchten.

Die Crew von NCsoft lud uns noch zu einer QA-Session (Frage-Antwort-Runde für die Presse) ein, von der wir euch noch im Laufe unserer gamescom-Berichterstattung erzählen werden. Yongchan Jee verriet uns in dieser Runde einiges über seine Inspirationen, Konzepte für den internationalen Markt und technische Schwierigkeiten während der Entwicklung.

 

Du hast die Wahl

Peter Molyneux von den Lionhead Studios stellte seine Vision vom ultimativen Gameplay vor. Das Schlüsselelement darin: Der Spieler muss Entscheidungen treffen, die maßgeblich den Verlauf des Spiels verändern. Ähnlich wie David Cage setzte Molyneux bei seinen Spielkonzepten vor allem auf Emotionen, die auf Entscheidungen beruhen. Er stellte einige Beispiele aus dem in Entwicklung befindlichen Titel Fable 3 sowie seinem Vorgänger vor. So habe man bei dem Titel darauf hin gearbeitet, dass der Spieler gewisse emotionale Bindungen zu Charakteren im Spiel aufbaut – und nachher möglicherweise diese Charaktere opfern muss, um ein ganzes Volk zu retten. Dass diese Strategie die Spieler wirklich emotionalisiert hat, zeigte sich an Hassbriefen, von denen Molyneux berichtete. Gefrustete Spieler beschwerten sich, dass sie ihren heißgeliebten virtuellen Hund opfern mussten, da sie nicht den Untergang eines ganzen Volkes in Kauf nehmen wollten.

Peter Molyneux :: Choice: The ultimate game mechanic (Lionhead Studios) Peter Molyneux :: Choice: The ultimate game mechanic (Lionhead Studios) Peter Molyneux :: Choice: The ultimate game mechanic (Lionhead Studios)

In Fable 3 geht Lionhead sogar noch einen Schritt weiter: Zum Faktor der Entscheidungskraft kommt auch tatsächliche Macht hinzu. Der Spieler kämpft zunächst um eine Revolution, wird dann aber selber zum König. Macht korrumpiert – und totale Macht korrumpiert total. Wird der Spieler sich also selber dabei ertappen, sein Wohl über das seines Volkes zu stellen? Der Spieler beeinflusst in dieser Rolle maßgeblich, wie sich sein Reich entwickelt, und dazu gehört auch die Landschaft. Ländliche Idylle oder prä-industrieller Großstadtflair? Der Spieler wird sich hier noch einigen tiefgreifenden moralischen Entscheidungen gegenüber sehen. Und genau das mache das Besondere an einem derartigen Spielerlebnis aus: Der Spieler lernt etwas über seinen eigenen Charakter, indem er an Grenzsituationen geführt wird, die er in Wirklichkeit wohl nie erleben wird.

Fable 3 führt dabei zudem das sogenannte „Touch“-System ein. Der Spieler kann so andere Charaktere an die Hand nehmen, sie trösten oder von einer Gefahr weg ziehen. So sollen die Charaktere des Spiels im wahrsten Sinne des Wortes greifbarer werden und der emotionale Faktor gesteigert werden.

 

Fazit: Ein Leitevent für die deutsche Industrie

 

Game Design 101 :: Christoph Quas (Sproing)

Die GDC endete am Mittwoch zusätzlich noch mit einigen Sessions speziell für Studenten, so z.B. „Game Design 101“ und „Business 101“. Doch so wertvoll sie für Studenten war, die erste GDC in Europa war weit mehr als nur eine Lehrveranstaltung für angehende Game Designer. Die meisten Vorträge befanden sich auf fortgeschrittenem Level, behandelten die Psyche von Spielern, zukunftsorientierte Technologien und viel durch Praxiserfahrungen geprägte Gestaltungstheorie.

 

Die erfrischende Ehrlichkeit mit der Branche, die Keynote-Sprecher wie David Cage mitbrachten, dürften für die deutsche Branche Gold wert sein. Denn abgesehen von Ausnahmeerscheinungen wie CryTek läuft die überschaubare Anzahl deutscher Studios häufig alten Konzepten nach und verfällt dem Ideen-Recycling. Die Endlos-Reihe der Siedler dürfte dafür ein sehr prägnantes Beispiel sein. Dies mag eine Zeit lang funktionieren, doch auch hierzulande wird sich der Markt irgendwann nach mehr Innovation sehnen. Gerade da die deutsche Politik häufig als Bremsventil für den deutschen Games-Markt galt, hat dieser ohnehin noch einiges aufzuholen, um mit internationalen Standards mithalten zu können. Die GDC Europe dürfte dafür einige Impulse gegeben haben.

Doch neben dem Lerneffekt war die GDC auch ein Branchentreff, auf dem viele Geschäftskontakte geknüpft wurden. Vermutlich aufgrund der überschaubaren Anzahl an Vertretern noch effizienter als die Business-Area der gamescom.

Interessant war auch die Sichtweise der ausländischen Gäste zur deutschen Politik. Während Cevat Yerli (CryTek) anprangerte, dass Deutschland mit seiner USK als einziges europäisches Land aus dem PEGI-Rating für Altersfreigaben herausfällt, wetterte David Cage sogar gegen diese wesentlich rationaleren Einstufungen. Games werden anders behandelt als Filme. Eine sehr dezente Liebesszene könne ein Game sofort auf 18 hochstufen, während ein viel freizügigerer Film für 16 freigegeben würde. Die Politik indes traf sich einen Tag später zum gamescom Kongress, in dem gerade diese Punkte thematisiert werden sollten. Es bleibt abzuwarten, ob die Kritik der Kreativen weiterhin auf taube Ohren in der deutschen Politik stößt.