GDC Europe – Tag 1

Die diesjährige GDC Europe in Köln begann mit einem Besucheransturm, der zu langen Wartezeiten an der Akkreditierung führte. Dabei wurden die Erwartungen an die Veranstaltung gleich am ersten Tag übertroffen.

gdce2010-008Bis zu 2.000 Besucher wurden erwartet, ersten Schätzungen zufolge kam fast die doppelte Anzahl an Spieleentwicklern an diesem Montagmorgen zum Kongress Center Ost der Koelnmesse. Was für die Veranstaltung einen erstaunlichen Rekord im zweiten Jahr darstellt, spiegelt die wachsende Vernetzung der Entwicklerszene in Europa wieder. Neben prominenten europäischen Entwicklern wie David Cage oder Avni Yerli waren auch Vertreter verschiedener Branchenverbände, Indie-Entwickler und Studenten zu Gast. Gerade für letztere bot bereits der erste Tag reichlich Chancen zum Networking – wo sonst trifft man soviele Spieleentwickler auf einem Fleck.
Etwas für‘s Auge gab es allerdings auch: Im ersten Stock der GDC ließ sich Crysis 2 in 3D bewundern – flimmerfrei auf einem überraschend guten Display mit einem speziell auf 3D-Effekte getrimmten Trailer. Crysis 2 machte hier in stereoskopischer Optik eine deutlich bessere Figur als das Spiel zu Avatar im vergangenen Jahr.
Ebenfalls recht beeindruckend war der Trailer zum neuen Battlestar Galactica Browsergame von Bigpoint. Mittels des Unity3D Web-Players sollen aufregende Raumgefechte der populären Science Fiction Serie erstmalig in 3D als Browsergame zu bewundern sein. Eine ganze Reihe von Technologieanbietern rundeten den Expo-Floor ab.

Erfolgreich in der Spieleproduktion

gdce2010-019Vor allem aber bot der erste Tag der GDC Europe viele Möglichkeiten, Wissen über Spieleentwicklung zu erwerben oder zu vertiefen.
Im ersten Panel des Tages referierten Benedikt Grindel und Christopher Schmitz der Siedler-Spieleschmiede Blue Byte über die für den Erfolg kritischen Aspekte einer Spieleproduktion. Besonders stellten sie dabei die Wichtigkeit einer guten Teamzusammenstellung heraus. Bereits ein unmotivierter Mitarbeiter könne Auswirkungen auf das gesamte Team haben. Darüber hinaus sei es wichtig, dass jeder Mitarbeiter mit Leidenschaft am Projekt arbeite – nur so könne am Ende ein qualitativ hochwertiges Produkt entstehen. Grindel und Schmitz offenbarten hier eine komplett andere Sichtweise als Activision-CEO Bobby Kotick, der im letzten Jahr mit eine Statement für Wirbel und Unverständnis sorgte: Sein erklärtes Ziel sei es, sämtlichen Spaß aus der Spieleentwicklung zu eleminieren.
Doch neben dem Engagement der Mitarbeiter appellierten die zwei Blue Byte Mitarbeiter auch an die Qualitäten des jeweiligen Producers: Dieser müsse effektiv mit seinem Team kommunizieren können. Dazu zählt, dem Team grundsätzlich die Gründe für Entscheidungen eindrücklich zu vermitteln und Probleme offen zu benennen – auch Publisher und Investoren gegenüber.


Internet als vierte Staatsmacht

Kommunikativ ging es auch bei CCP-Entwickler Pétur Jóhannes Óskarsson zu. Er wandte sich der Frage zu, ob sogenannte „Player-Councils“ – also gewählte Spielergremien als Bindeglied zwischen Community und Entwicklerstudio – sinnvoll oder Zeitverschwendung seien. Player Councils sind vor allem ein Phänomen von Massively Multiplayer Online Games, wo eine enorm große Spielerzahl ein eigenes soziales Gefüge – gar eine eigene Gesellschaft in der Spielwelt darstellt. Besonders deutlich wird diese Besonderheit bei Óskarssons eigener Produktion: EVE Online. Bei jenem Weltraum-MMO gibt es keinen vorgewobenen Story-Faden. Hier gestalten die Spieler die Geschichte selber, indem sie sich zu Allianzen zusammen schließen, politische und wirtschaftliche Machtgefüge bilden. Dabei liegt es in der Natur von MMOs, sich stets weiter zu entwickeln. Nicht selten führt gerade dies aber zu Missmut in der Spielerschaft: Umgewöhnung und andere Vorstellungen über den Weg zum Spielziel sorgen desöfteren für lange Diskussionen in den Spielforen. Bei tausenden von Spielern ist es für die Entwickler bisweilen aber schwierig, klare Tendenzen heraus zu filtern und die Wünsche der Community umzusetzen. An jener Stelle kommen Player Councils ins Spiel: Die Mitglieder werden von der Community selber demokratisch gewählt und dienen so als Kraft, die auf Entscheidungen des Entwicklers Einfluss nehmen kann. Vor allem ermöglicht der Council es, Informationen über Wünsche und Ideen der Community effektiver an die Entwickler heran zu tragen.
gdce2010-091Die positive Bedeutung solcher Councils unterstrich Óskarsson mit einem Vergleich zu realen politischen Systemen: So gebe es schon seit langem nicht nur die drei Kräfte Legislative, Judikative und Exekutive – die Massenmedien seien längst eine treibende Kraft geworden, die einen ebenso starken Einfluss auf Gesetze und die Ausgestaltung der Gesellschaft besitzt. Im heutigen Zeitalter sei dieses Medium eben das Internet.
Eine für den Entwickler nützliche Besonderheit von Player Councils: Läuft es mal nicht so wie von der Community gewollt, so lastet die Kritik nicht alleine auf den Schultern des Entwicklers. Vielmehr heißt es dann: „Wer hat eigentlich den Council gewählt?“

An der Graswurzel

gdce2010-032Insgesamt politischer wurde es beim Panel „Building Grassroots Video Game Activist Networks“. Hier standen gleich vier Gäste zur Gesprächsrunde bereit: Richard Taylor von der amerikanischen Entertainment Software Association (ESA), Matias Myllyrinne von Remedy Entertainment, Avni Yerli (Crytek) und Stephan Reichart (G.A.M.E. Bundesverband). Nachdem bereits im letzten Jahr Cevat Yerli und David Cage ihre Auftritte nutzen, um gegen überzogene Zensur zu wettern, widmeten sich dieses Jahr ein komplettes Diskussionspanel diesem Thema.
Fokus des Panels war die Mediendebatte um Abhängigkeit von Computerspielen und Gewaltinhalten in selbigen. Alle Teilnehmer sahen in der immer wieder hochkochenden Debatte einen Generationenkonflikt. Zwar würde dieser sich vermutlich mit zunehmender Verbreitung der Computerspiele legen, dennoch forderte Reichart mehr Selbstbewusstsein durch die Industrie bei der Debatte um Alterseinstufungen und Zensur.
Yerli und Myllyrinne zeigten in der Diskussion zudem auf, welche weitreichenden Folgen ein pauschales Verbot haben könnte: Nicht nur Deutschland würde die komplette Entwicklerbranche verlieren, das Einschnitt wäre auf dem gesamten Games-Markt sichtbar. Immerhin handele es sich bei Deutschland um den dritt- bis viertgrößten Markt weltweit – je nach Genre.
Yerli kritisierte darüber hinaus die fehlende Medienkompetenz bei Eltern: Ihre Kinder wüssten häufig weitaus mehr über das Medium, wodurch ein effektiver Jugendschutz und eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb der Familie nur selten möglich sei. Hier seien dringend neue Bildungsmöglichkeiten zu schaffen.
gdce2010-029Das Diskussionspanel ging auch auf einige absurde Beispiele für den übersteigerten Jugendschutz bei Computerspielen im Vergleich zu anderen Medien ein. Wie Taylor berichtete, wurden in Chicago Filmplakate verboten, weil sie zusätzlich zum Film auch das Spiel zum Film promoted hatten. Ohne Erwähnung des Spiels, wäre es nicht zum Verbot gekommen, obwohl beide Werke inhaltlich in etwa gleich waren.
Reichart führte zugleich ein Beispiel aus Deuschland an: Der recht brutale Film „Inglorious Basterds“ von Kultregisseur Quentin Tarantino wurde finanziell großzügig von der deutschen Filmförderung unterstützt. Nur wenge Wochen später fand der Deutsche Computerspielepreis statt. Hier hatte die Jury Dragon Age als bestes internationales Spiel auserkoren, wurde dann vom Vorsitzenden aber im Alleingang aus politischen Gründen überstimmt – aufgrund des im Vergleich zu Inglorious Basterds deutlich geringer ausfallenden Gewaltgrades.
Am Ende ging man in der offenen Diskussionsrunde noch auf verschieden aktuelle Entwicklungen ein. Taylor berichtete über das Voters Network in den USA, welches direkte Anschreiben an Abgeordnete versendete und damit echte Wirkung erzielte; Reichart thematisierte die mit 70.000 Unterzeichnern starke Online-Petition in Deutschland gegen „Killerspiele“-Verbote. Leider zeigte sich auch hier ein Generationenkonflikt, denn die Abgeordneten betrachteten eine Online-Petition nicht mit dem gleichen Stellenwert wie das Pendant auf Papier. Diskutiert wurde außerdem über die Rolle der Medienberichterstattung und dem (wissenschaftlichen) Schlagabtausch zwischen Pirate Gaming, dem VDVC und dem Aktionsbündnis Winnenden.


Neues aus der Abmahnindustrie

Für einige erstaunte Gesichter bei der Lektüre des Montags-Programms sorgte die Firma DigiProtect mit ihrem prominenten Gast Sabrina Setlur. DigiProtect hatte sich als Massenabmahner einen Namen im deutschen Raum gemacht und damit zugleich für Widerstand gegen die entstandene „Abmahnindustrie“ gesorgt.
Wie der Eintrag als gesponsortes Panel schon vermuten ließ, ging es weniger um eine differenzierte Reflektion digitaler Vertriebskanäle, sondern vielmehr um eine Verkaufsveranstaltung. Bei den anwesenden Entwicklern kam eben jene allerdings nicht besonders gut an: Auf der internationalen Konferenz startete Dr. Frederik Gerckens die Präsentation auf deutsch, woraufhin nach etwa 10 Minuten bereits die Hälfte der Zuhörer den Raum verlassen hatte.
gdce2010-034Gerckens stellte zunächst das Geschäftsprinzip von DigiProtect vor: Demzufolge nehme die Firma am Tauschgeschäft in Filesharing-Börsen teil, logge die IP-Adressen der Teilnehmer und erwirke via Gerichtsbeschluss eine Herausgabe der Nutzerdaten. Daraufhin werde eine Standard-Abmahnung in Höhe von 290 € versendet. Lediglich 20% davon könnten jedoch an den Künstler ausgeschüttet werden, der Rest werde für den juristischen Weg aufgewendet. Sabrina Setlur berichtete aus ihrem Künstlerdasein und bezifferte das Jahr 2000 als Trendwende in der Musikindustrie. Von dort an sei der Erfolg eines Künstlers nicht mehr direkt anhand der Verkaufszahlen ermittelbar gewesen. Der Zeitraum stimmt dabei in etwa überein mit der Einführung von DSL in Deutschland und damit aufkommender Verbreitung von Breitband-Internet.
In der anschließenden Diskussionsrunde kam aus der Entwicklergemeinde jedoch mehr Kritik als neugierige Nachfragen: Zum Einen wurde bemängelt, dass Abmahnungen der Vorzug zu Aufklärung gegeben werde. Oftmal wüssten die Eltern nicht, was ihre Kinder da am Computer machten, jene hingegen entwickelten ohne den Einfluss ihrer Eltern auch kein Unrechtsbewusstsein. Die zynische Anmerkung eines Gasts: Aufklärung sei mit dem Geschäftskonzept von DigiProtect nicht kompatibel und daher wohl auch nicht hoch priorisiert. Kritisiert wurde darüber hinaus das Statement von DigiProtect, das Three Strikes Modell aus Frankreich zu unterstützen. Gerade die Games-Industrie habe damit eine Stigmatisierung von Technologien wie Torrents erlebt, die in Spielen häufig als Patch-Mechanismus eingesetzt werde. In den USA führte dies durch vorauseilenden Gehorsam der Internetprovider (Stichpunkt Störerhaftung) zu massenweisen Sperrungen von Spielern des populären Titels Modern Warfare 2.


Heavy Rain Retrospektive

gdce2010-059Spätestens seit der GDC Europe 2009 dürfte David Cage eine kleine Schaar Fans um sich  versammelt haben. Kaum einer trägt derart charmant und gewitzt vor und hat dabei auch noch interessantes zu erzählen.
In diesem Jahr ging es einmal mehr um Heavy Rain, diesmal aus der retrospektiven Betrachtung nach dem kommerziell erfolgreichen Release. Cage schaffte es aber, das Panel nicht zu einem Abklatsch des Vorjahres werden zu lassen, sondern begeisterte das Publikum mit Einblicken in den Schöpfungsprozess des Spiels und gab Entwicklern mit Mut zur Individualität wertvolle Tipps. Natürlich wieder verpackt in eine gehörige Portion Humor.
Gleich zu Anfang kritisierte Cage die Games-Industrie als recht konservative Industrie: Spiele basierten seit 25 Jahren auf wiederholenden Schemata, dabei stehe die Ausübung von Gewalt immer wieder im Mittelpunkt. Computerspiele böten bis dato nur wenig emotionale Tiefe und seien mit ihrer Action-Fokussierung eher für eine jugendliche Zielgruppe ausgelegt. Cage hingegen sieht Computerspiele als Produkte für Erwachsene, die eher Kunst als Spielzeug sein sollten.
Laut Cage müsse das Motiv der Gewalt viel eher im Kontext zu einer tieferen, narrativen Bedeutung und damit verbundenen Emotionen stehen, um mehr als nur stupide Action darzustellen. Zu dieser tieferen Immersion zähle auch, Konsequenzen aus der eigenen Handlung als Spieler ziehen zu müssen. Diese Grundidee spiegelte sich auch im Spielkonzept von Heavy Rain: Zu verlieren, ist hier in Ordnung. Der Spieler muss nicht das gleiche Level so häufig wiederholen, bis er es geschafft hat. Vielmehr gehe die Story auch dann weiter, wenn der Spieler in einer Situation versagt – selbst beim Tod des Spielercharakters. Die tiefe Immersion in eine solchen Spielwelt machte Cage mit einer Anekdote von einem seiner Spieletester deutlich: Obwohl dieser in quasi allen Actionsequenzen versagte, bewertete er das Spiel nachher als „sehr einfach“ – denn es gab keine Situation, an der er hätte von vorne beginnen müssen.

gdce2010-068Dieses hochgradig interaktive narrative Konzept brachte jedoch auch seine Herausforderungen mit sich: Cage schrieb etwa 2.000 Seiten an Drehbüchern in über einem Jahr Arbeit. Technisch war ein enorm komplexes Scripting notwendig, um alle Eventualitäten der Spielerentscheidungen abzudecken. Um ein paar Eckdaten zu nennen: Heavy Rain umfasst 4 Millionen Zeilen Programmcode, 800.000 Kamerasequenzen, 30.000 einzigartige Animationen und wurde mit Hilfe von 80 Schauspielern produziert. Cage merkte an, dass die Realisierung des Projekts ohne die konsequente Vorproduktion von Entwicklertools nicht möglich gewesen sei.

Um ein derartig komplexes Projekt konsistent zu halten, benötige es einen „Vision Holder“. Cage sprach sich gegen eine rein demokratische Form der Entscheidungsfindung im Studio aus, da gerade dadurch die Konsistenz nicht mehr gewährleistet sei. Vielmehr müsse der Vision Holder den Überblick behalten und die Produktion kreativ leiten – dabei jedoch stets ein offenes Ohr für Kritik und Anregungen haben.

gdce2010-078Als Besonderheit im Marketing stellte Cage heraus, dass er seinen eigenen Namen als Brand verwendete. So stünde der Name des Autors für die Qualität des Spiels und es fiele ihm leichter, das Marketing nach einem erfolgreichen Titel davon zu überzeugen, kein Heavy Rain 2 zu machen, sondern stattdessen einen neuen Titel der ,Qualitätsmarke‘ Cage.
Im Hinblick auf die Vermarktung von Heavy Rain ließ Cage sich auch diesmal die typischen Seitenhiebe an die Zensoren nicht nehmen. In einer ironisch angehauchten Slideshow zeigte er historische Skulpturen und bewertete diese anhand von ESBR-Kriterien bezüglich Nacktheit, Gewalt und anderen Faktoren. Die ernüchternde Bilanz: Nahezu alle Skulpturen wären mit 18+ bewertet worden.

gdce2010-081Sein Panel beendete Cage mit Tipps für andere Entwickler. Sein Motto: Gibt es keine technologischen oder konzeptionellen Barrieren in deiner Spieleidee, so lasse sie fallen! Entwickler sollten aufhören, Kinderspiele zu machen und sollten typische Regeln einfach ignorieren. Dabei sei aber auch Überzeugungskraft gefragt: Publisher seien bezüglich neuer Ideen grundsätzlich ängstlich.

Weitere kreative Überlegungen gab es übrigens von Warren Spector, Creative Director von Junction Point (Disney Interactive). In seiner Keynote zog er Vergleiche mit anderen Medien und referierte darüber, was Computerspiele noch von anderen Medien lernen könnten – und was besser nicht. In seinen Ausführungen und auch seinem Fazit blieb er jedoch wesentlich oberflächlicher als Cage, womit die Keynote eher für Einsteiger in die Branche interessant war.

Wie aus kreativen Überlegungen schnell ein anschaulicher Prototyp werden kann, demonstrierte Carl Jones von Crytek. Einmal mehr wurde die Leistungsfähigkeit der CryEngine 3 unter Beweis gestellt, diesmal jedoch im Bereich Rapid Prototyping. Jones zeigte in seiner Live-Demo, wie innerhalb von 20 Minuten Arbeit in der Sandbox aus einem First Person Shooter ein Rennspiel wird.

Am Dienstag geht es mit satten 33 Panels weiter, wir sind natürlich auch wieder für euch dabei, unter Anderem mit einem besonderen Blick auf as neue Bigpoint-Browsergame zu Battlestar Galactica.