Aus der Spielerszene sind immer häufiger die gleichen Begründungen für den Gebrauch unlizensierter Spielekopien zu hören. Seltener ist es, wenn Spieleentwickler sich gegen die Diffamierung von Software-Piraten aussprechen. Spellforce-Entwickler Steffen Itterheim äußert in einem Interview mit Onlinewelten harte Kritik an der Spielebranche.
Als Medienkonsument ist man vertraut bis zunehmend genervt von einem Schauspiel, das sich Jahr für Jahr zwischen Film-, Musik- und Spieleverlägen und deren Konsumenten abspielt: Hiobsbotschaften von florierenden Filesharing-Börsen, die neue Rekorde in der Verbreitung von unlizensiertem Material erreichen, gefolgt von Medienkampagnen gegen „Raubkopierer“, die einfache Urheberrechtsverletzungen in der Regel als schweres Verbrechen darstellen. Zumeist gipfelt dieses periodische Schauspiel in der Forderung nach Gesetzen, die harte Einschnitte in Verbraucherschutz und Privatsphäre zur Folge haben. Alternativ werden neue, ‚innovative‘ Kopierschutz- und DRM-Systeme vorgestellt, die in der Praxis die zahlende Kundschaft prellen.
Der letzte Supergau ereignete sich durch das neue Ubisoft-DRM, welches den Spieler selbst bei Singleplayer-Games dazu zwang, permanent online zu sein. Vermarktet wurde das System namens „Uplay“ als Service für die Spieler, doch statt des versprochenen Services hagelte es beim Debüt von Assassin’s Creed 2 und Die Siedler 7 Verbindungsabbrüche und Verlust der Savegames. Dem Multiplayer des letzteren Spiels verweigerte die GameStar daraufhin sogar die Wertung. Weitaus schallender war jedoch die Kritik aus den Gamer-Communities selbst: Begeisterte Fans beider Reihen boykottierten die Spiele trotz sonst guter Wertungen der eigentlichen Spielinhalte. Natürlich waren trotz des restriktiven DRMs schnell beide Spiele gecrackt.
Technische Barrieren
Ubisoft ist damit jedoch kein Einzelfall. Dass gerade ehrliche Kunden üblicherweise durch DRM-Systeme abgestraft werden, zeigte sich erst vor wenigen Tagen erneut anhand des Spiels Call of Duty: Modern Warfare 2. Die importierte Version des Spiels ließ sich plötzlich nicht mehr für deutsche Steam-Kunden aktivieren, da für Steam Unklarheiten bezüglich des deutschen Jugendschutzes bestanden. Activision bot im Austausch die deutsche Version an, was für die Käufer der Importversion jedoch zusätzliche Kosten und eine zensierte Version des Spiels bedeutete.
Bei EA schrottete der Kopierschutz SecuROM gleich einige Systeme, so dass es z.B. nach Installation von Crysis auf Windows 7 Bluescreens bei Bootvorgängen hagelte. Im offiziellen Support wurden Hilfe suchende Spieler jedoch mit Standardantworten abgewimmelt. Ein fortlaufendes Ärgernis für zahlende Kunden, während die Kopiererszene sich recht unbeeindruckt zeigte.
Vertreter der Spielercommunity beharren schon länger auf der These, dass die zunehmende Gängelung durch Spielehersteller ihr eigentliches Ziel verfehle: So seien diese erst recht für die Zunahme illegaler Kopien verantwortlich, da laufend zahlende Kundschaft verprellt werde. Zu dieser Meinung gesellt sich nun auch ein Spieleentwickler: Der 34-jährige Steffen Itterheim war unter Anderem in die Produktion von Spellforce bei EA Phenomic involviert. In einem Interview mit Onlinewelten vertritt er unter Anderem die Ansicht, die Branche sähe ohne Softwarepiraten kaum anders aus – ein deutlicher Widerspruch zu der fortlaufenden Kriminalisierung durch einen Großteil der Publisher. Er fordert: „Publisher, hört auf, ehrliche Kunden zu gängeln! Patcht euren Kopierschutz weg!“ Ungewöhnliche Worte für einen Spieledesigner, doch sieht Itterheim das Thema als über-dramatisiert an. Ihn stört vor allem die Schwarzmalerei beider Seiten, die sich nicht in das jeweilige Gegenüber versetzen können. Die These, dass Schwarzkopien Arbeitsplätze vernichten, vergleicht er mit der Diskussion um ‚Killerspiele‘: Derart komplexe Themen ließen sich nicht in eine Aussage herunterbrechen, doch funktioniere dies als PR-Aussage wunderbar.
Schwarzkopien als Mittel des Protests
Die florierende Schwarzkopierer-Szene sei jedoch nicht nur Faulheit oder Sparzwang auf Seiten der Konsumenten geschuldet: Mangelnde Qualität der Spiele, zensierte Versionen oder technische Probleme mit dem Kopierschutz seien auch primäre Gründe. Dabei werden unlizensierte Kopien häufig auch als Mittel des Protests, etwa gegen Gängelung der Kunden angewandt. Itterheim nennt hier ‚Spore‘ – das meistkopierte Spiel 2008 als Paradebeispiel. Mit dieser Meinung steht Itterheim jedoch nicht alleine als Entwickler da: Im letzten Jahr vertrat Industriegröße Gabe Newell, Geschäftsführer von Valve, in einem Interview exakt den gleichen Standpunkt: So seien Schwarzkopien nicht mal unter den 10 größten Problemen bei einer Spieleentwicklung. Newell sah außerdem mangelhaften Service dem Kunden gegenüber als einen Hauptgrund für Online-Piraterie. Für seine Aussage, dass DRM-Systeme den Wert von Spielen senkten, erntete er auf der diesjährigen Game Developers Conference in San Francisco Jubel durch die anwesenden Spieleentwickler.
Offenbar sind Steffen Itterheim und Gabe Newell also alles andere als alleine mit ihrer Meinung in der Entwicklergemeinde. Doch während Entwickler und Spieler scheinbar Berührungspunkte gefunden haben, tut sich auf Seiten der Publisher bisher so gut wie nichts. Dabei könnte ein Publisher mit innovativem und kundenfreundlichem Vertriebskonzept „auf einer Sympathiewelle schwimmen“, so Itterheim – und hat konkrete Visionen, wie ein solches System aussehen könnte: Da viele Schwarzkopierer Games zum Anspielen installierten, bei Gefallen aber nachträglich selten noch das volle Spiel kaufen würden, könnte sich ein innovatives Vertriebskonzept genau diesen Aspekt zu Nutze machen.
Während Demos eher für Frustration aufgrund der langen Wartezeiten bis zum Spielerelease sorgten, sollten Spiele vielmehr kostenlos ‚angeteasert‘ werden. Gefällt das Spiel dann, könne der Nutzer für kleinere Beiträge (z.B. 5 €) weitere Spielinhalte wie Missionen freischalten – bis schlussendlich der Vollpreis (z.B. 50 €) des Spiels erreicht und alle Spielinhalte freigeschaltet sind. Bezahlt der Spieler auf Anhieb das gesamte Spiel, so könne er mit Bonus-Inhalten sogar noch dafür belohnt werden. Zahlende Käufer würden damit eher gebunden – anstatt wie heute abgestraft – werden. Mit den vorhandenen digitalen Distributionskanälen und Micropayment-Systemen sei dies heutzutage problemlos möglich.
Während Indie-Entwickler schon seit längerem mit innovativen Vertriebsmöglichkeiten wie ‚pay as much as you want‘ experimentieren, wird sich noch zeigen müssen, wie die Publisher auf derartige Ideen anspringen. Interessanten Stoff für eine Keynote auf der GDC Europe würde Itterheim allemal bieten.
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