Quo vadis, gamescom 2010? (updated)

Das letztjährige Debut der gamescom in Köln war nicht nur aus Veranstalter-Sicht ein Erfolg. Die Messe kam zu einem idealen Zeitpunkt, um ein öffentliches Gegengewicht zur „Killerspiel-Debatte“ zu etablieren. Neben dem politischen Bildungsangebot des gamescom congress suchten auch die Jugendorganisationen der Parteien das direkte Gespräch mit den Gamern. Wird sich das in diesem Jahr ändern?

gamescom_thursday 086Die deutsche Gamer-Szene durchlebte 2009 ein turbulentes Jahr. Wie schon in Jahren zuvor wurden Vertreter politischer und gesellschaftlicher Organisationen nicht müde, das Thema „Killerspiele“ in den Medien zu halten. Dabei mussten Actionspiele als Sündenbock für Jugendgewalt und Amokläufe herhalten, selbst Rollenspiele wie World of Warcraft wurden plötzlich als Killerspiele bezeichnet. Die Stigmatisierung einer ganzen Jugendkultur gipfelte darin, dass in mehreren Städten die seit jeher friedlichen Sport-Events der Intel Friday Night Games abgesagt wurden. Dies geschah jedoch keineswegs freiwillig: Obwohl dieser Event bei Hallenbetreibern gerade wegen des geringen Security-Bedarfs gerne gesehen war, zwangen Politiker sie zum Vertragsbruch. Schlussendlich entschied sich Turtle Entertainment dazu, die Veranstaltungen nicht zu einem politischen Spielball werden zu lassen und sagte sie ab. Auf welch absurdem Fundament die Begründungen der Politiker standen, offenbarte sich hinter den Kulissen: Nach einem negativen Medienecho kam es zu systematischen Anrufen bei allen iFNG-Locations, um die dortigen Veranstaltungen ebenfalls zu kippen. In zwei Städten gelang das perfide Spiel, zeigte aber gleichzeitig auf, dass es weniger um Jugendschutz als vielmehr um persönliche Profilierung einzelner Politiker ging.

Bei einer Millionen Spieler starken Gemeinschaft war jedoch klar, dass dies nicht ohne Echo bleiben würde. Mit dem Independent Friday Night Game und den ersten Gamer-Demonstrationen der deutschen Geschichte regte sich Protest, den mit der Piratenpartei und den Grünen auch gleich zwei politische Organisationen mittrugen. Und mit dem VDVC erhielten Gamer in Deutschland zum ersten mal ein organisiertes, öffentliches Sprachrohr.

gamescom_thursday 055Die gamescom bekam so in ihrem Debüt-Jahr einen unerwartet politischen Anstrich. Der gamescom congress bot Politikern und Vertretern der Games-Branche erstmalig eine gemeinsame Diskussionsplattform. Hier ließen einige Entwickler auch gleich Luft ab: „What’s wrong with the Germans?“ – diese provokative Frage von Gerhard Florin, Manager bei Electronic Arts, beschäftigte die Medien noch eine ganze Weile. Doch auch auf der Messe selbst war Politik allgegenwärtig: Die Jungen Piraten sowie die Junge Union diskutierten Jugendschutz und Medienpolitik an eigenen Infoständen und viele Messebesucher ließen es sich nicht nehmen, ihre eigenen politischen Botschaften offen herumzutragen. „Ich wähle keine Spielekiller“ war wohl das häufigste T-Shirt-Motiv auf der ganzen Messe. Mit Hilfe der ESL hatten auch VDVC-interessierte Messebesucher eine Anlaufstelle, während der neue Verband mit Flyern kräftig um neue Mitglieder warb.

Und in diesem Jahr?

Trotz des für eine Entertainment-Messe großen Zuspruchs bezüglich der politischen Infostände wird es dieses Jahr keine geben. Der BIU schloss im Gegensatz zum letzten Jahr kategorisch eine Beteiligung politischer Parteien und Jugendorganisationen aus – diese passten nicht ins Messekonzept, so der Veranstalter. Doch nicht nur den politischen Jugendorganisationen wird die Teilnahme verwehrt, auch der VDVC hatte es schwer, überhaupt eine Präsenz auf der Messe zu bekommen. Wohin also will die gamescom? Hin zur reinen Konsum-Messe? Tatsächlich bieten Kultur-Festivals wie das Living Games Festival in Bochum oder die Next Level Conference in Köln interessantere Einblicke in die Spielerszene und überraschen mit einigen Acts sogar noch alteingesessene Gamer. Die Podiumsdiskussionen des Living Games Festivals über den kulturellen Wert von Spielen wären unterdessen für Kritiker ein wahrer Augenöffner. Doch schaffen jene Festivals es nicht, eine derart breite Öffentlichkeit wie eine gamescom zu erreichen. Bedient die gamescom etwa nur den „stumpfen Konsumenten“, um die Worte von LiGa-Chef Stephan Reichart zu verwenden? Die Erfahrung am letztjährigen Infostand der Jungen Piraten lässt das Gegenteil vermuten: Selten war ein politischer Infostand der Piraten so stark von diskussionsfreudigen Jugendlichen besucht.

Dass Computerspiele, Kultur, Politik und Gesellschaft eng miteinander verwoben sind, ist der gamescom jedoch nicht fremd: Der diesjährige gamescom congress am Messe-Donnerstag hat das Leitthema ‚Social Games‘ und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Der Eintritt ist kostenlos, es ist jedoch eine Anmeldung per Fax erforderlich. Ironischerweise bleibt der gamescom congress so relativ exklusiv und der wichtigste Bestandteil von Social Games – nämlich die Spieler selbst – bleiben bei diesem Angebot relativ außen vor. Hier bot die Leipziger Games Convention noch interessante Angebote für die flanierenden Messebesucher in Form von offen platzierten Diskussionspodien.

gamescom_thursday 032Es stellt sich also die Frage: Quo vadis, gamescom? Findet hier eine sinnvolle Abgrenzung zur damaligen Games Convention statt oder wird gerade auf ihre einstigen Stärken verzichtet? Im gerade mal zweiten Jahr der gamescom darf man wohl noch von einer Selbstfindungsphase sprechen und auch die Gamer-Community ist sich im direkten Vergleich beider Messen nicht einig. Eine Kuriosität bleibt am Ende jedoch übrig: Während Jugendpolitik und Gamer-Verbände offenbar schwer mit dem diesjährigen Konzept zu vereinbaren sind, steht ausgerechnet die Bundeswehr wieder auf der Ausstellerliste.

Update 1. August: Inzwischen hat der BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V.) die ursprüngliche Aussage der Koelnmesse relativiert. So ist nicht mehr von einem pauschalen konzeptionellen Ausschluss die Rede, vielmehr bestehe unter bestimmten Umständen auch für politische Jugendverbände die Option einer Teilnahme als Aussteller.
Ruth Lemmen, Referentin Medienkompetenz beim BIU dazu:

[blockquote]Die Koelnmesse hat entschieden, dass politische Parteien keine Aussteller der gamescom sein können, da die gamescom keine politische Veranstaltung ist. Politische Jugendorganisationen können aber generell Aussteller der gamescom sein, wenn sichergestellt ist, dass nicht die politische Willensbildung und Werbung für eine politische Partei im Vordergrund der Präsenz steht, sondern Jugendarbeit mit Bezug auf Computer- und Videospiele.[/blockquote]

Für das im Juni vorgestellte Messekonzept von Pirate Gaming gibt es damit dann auch noch einen Hoffnungsschimmer. Ob sich in der Kürze der Zeit nun aber ein Stand tatsächlich realisieren lässt, ist fraglich. Wir halten euch auf den Laufenden!