Medien können die subjektive Wahrnehmung von Ereignissen maßgeblich beeinflussen. In der Killerspiel-Debatte wurde dies anhand von Sendungen wie Frontal21 nur allzu deutlich: Hier zeigten die Medien eine Perspektive auf das Thema, welche Gamern vollkommen fremd war. Warum derartige Medienberichterstattung mit Vorsicht zu genießen ist, war ebenfalls Thema auf der Clash of Realities. Medien und Bildung sind die Leitthemen unseres zweiten Beitrags zur internationalen Konferenz.
Computerspieler sehen sich gerade in Deutschland häufig mit Vorurteilen konfrontiert, dabei geben berichterstattende Medien sich alle Mühe, ihren Neutralitätsanspruch mit Expertenstimmen zu untermauern. Warum Medien trotzdem nicht zwangsläufig diesem Anspruch gerecht werden, war Teil wissenschaftlicher Untersuchungen, die auf der Clash of Realities vorgestellt wurden.
Digitale Eingeborene oder dick, dumm und gewaltbereit?
Unter diesem Motto berichtete Sven Jöckel – Juniorprofessor Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt – über aktuelle Forschungen zum Themenfeld Computerspiele. Im Gegensatz zu seinen Kollegen aus der Psychologie untersuchte er den Diskurs über Computerspiele aus kommunikativen Aspekten heraus. Jöckel stellte eine Studie zur Berichterstattung über World of Warcraft vor, da das weltweit bekannte MMO neue Arten Spiele zu nutzen erschaffen hatte und somit vollkommen neue Diskurse anstieß. Untersucht wurden neben verschiedenen Printmedien auch die Onlineausgaben diverser Tageszeitungen und Magazine.
Die Resultate sind durchaus interessant: So behandelten 1/4 der Artikel zu WoW primär das Thema Sucht, gefolgt von der realweltlichen Ökonomie im Umfeld des Spiels. Auffällig: Die ersten Artikel zum Thema Sucht erschienen erst drei Jahre nach Release des Spiels, wurden dann aber zum tragenden Leitthema. Jöckel führte dies vor allem auf die Medienarbeit des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zurück sowie die 2008 gegründete Ambulanz für Computerspiel- und Internetsucht in Mainz. Deutlich wurde das auch anhand konkreter Zahlen: 23% der Artikel beschrieben Einzelschicksale, insgesamt handelte es sich dabei um 69 Personen, von denen 84% männlich waren. 30% aller Artikel verwiesen bei der Thematik auf Expertenzitate, dabei kamen jedoch fast ausschließlich Psychologen zu Wort – in den allermeisten Fällen Christian Pfeiffer, Leiter des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.
Als Fazit zog Jöckel, dass die Medien bisher nur einen Bruchteil der wissenschaftlichen Forschung wahrnehmen, kommunikationswissenschaftliche Aspekte des Spiels seien beispielsweise nie thematisiert worden. Jöckel beendete seinen Vortrag mit der Frage, ob die Wissenschaft ein Kommunikationsproblem mit der Öffentlichkeit habe.
Bei der recht einseitigen Berichterstattung ist es zumindest nicht verwunderlich, dass ein sehr dystopischer Diskurs zum Thema Computerspiele entstanden ist. Zumal der Name Christian Pfeiffer in Kreisen von Gamern und Akademikern nicht gerade für wissenschaftliche Seriösität steht.
Eine Frage der Perspektive
Auf ein weiteres Problem im öffentlichen Diskurs deuteten die Forschungsergebnisse von Dr. Julia Kneer vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie in Köln. In ihrem Vortrag „wie digitale Spiele wirken“ wies sie auf einige Probleme aktueller Forschungen hin. So seien die Studienergebnisse zu Aggressionspotentialen von First Person Shooter äußerst ambivalent. Einer der Gründe: Für die Teilnahme an Umfragen und Untersuchungen werden Credit-Points vergeben, was teilweise zur Akquirierung von nicht „echten“ Spielern führt und damit die Forschungsergebnisse verfälscht. Dass dieser Aspekt aber für die Bewertung von Aggressionspotentialen essentiell ist, belegte Kneer anhand eigener Studien. So wurden verschiedenen Testpersonen in einem Versuch fiktive Charaktere mit ihren Lebensläufen vorgestellt, die sich nur in einem Punkt unterschieden: Die einen spielten Autorennen, die anderen First Person Shooter. Die Nichtspieler unter den Testpersonen schätzten dabei die Spieler von Shootern tendenziell als aggressiver ein, tatsächliche Spieler hingegen sahen keinen Unterschied im Aggressionspotential.
Tatsächlich zeigt diese Untersuchung, dass die öffentliche Meinung durchaus von Vorurteilen geprägt ist. Diese Beobachtung ist vergleichbar mit kritischen Eltern, die auf den von der ESL organisierten Eltern-LANs plötzlich zu begeisterten Counter-Strike Spielern wurden. Auch lässt sich dieses Phänomen in der Politik beobachten: Während vorwiegend Nichtspieler nach Verboten rufen, sind es die Mitglieder der Jugendorganisationen von Parteien, die sich auf Seiten der Gamer stellen.
Medienkompetenz statt Verbote
À propos Verbote: Aus Kopenhagen angereist war T.L. Taylor, die ihre umfassenden, weltweiten Beobachtungen zur eSport-Szene mit dem Publikum teilte. Überrascht zeigte sie sich darüber, dass in Deutschland bereits mehrere eSport-Events aufgrund politischen Drucks abgesagt werden mussten, laut ihrer Aussage weltweit ein Einzelfall. Dass der deutsche Jugendschutz generell ein Unikat ist, zeigte Christine Ketzer in einem Vortrag über die Unterschiede zwischen dem europäischen PEGI-System und der deutschen USK. Während der deutsche Jugendschutz öffentliche Stellen einbezieht, ist die PEGI eine wirkliche Selbstkontrolle, die von der Branche durchgeführt wird. Laut Ketzer befürworte die EU-Kommission zwar die PEGI, Deutschland hat sich bisher aber als einziges Land geweigert, da es den Jugendschutz als verfassungsmäßigen Auftrag wertet und somit zur Obrigkeitsaufgabe macht. Die betreffende Passage ist Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes, im Wortlaut:
[important color=grey title=Art 2, Abs 1 GG]„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“[/important]
Ein pikantes Detail an dieser Deutung: Dieser Absatz wird als Legitimation für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien angeführt, welche durch drohende Indizierungen immer wieder dafür sorgt, dass Spiele für Erwachsene in Deutschland geschnitten werden. Ein Widerspruch in sich, denn somit verstößt die Behörde eigentlich gegen den o.g. Artikel des Grundgesetzes, denn sie verhindert so den freien Medienkonsum für selbstbestimmte Erwachsene bei ansonsten legalen Inhalten.
Wie aber sähe eine sinnvolle Alternative zu den deutschen, prohibitiven Ansätzen des Jugendschutzes aus? Dr. Danny Kringiel – Lehrer, Medienpädagoge und Journalist – sieht die Zukunft des Jugendmedienschutzes in der Schaffung von Medienkompetenz. Aus seiner Sicht erfüllen Verbote und Verkaufskontrolle nicht den Zweck, Jugendliche effektiv zu schützen. So sorgen aus seiner Sicht die derzeitigen Verkaufskontrollen lediglich dafür, dass Jugendliche sich die Materialien illegal beschaffen, gleichsam sind nationale Kontrollen in einem internationalen Markt quasi wirkungslos. Der wichtigste Aspekt jedoch: Durch die Tabuisierung bestimmter Medien erlangen Jugendliche nicht die Fertigkeiten, später bewusst mit diesen umzugehen.
Anhand des Beispiels „Max Payne 2“ stellte Kringiel verschiedene Methoden vor, wie sich sogar ein Actionspiel konstruktiv im Unterricht einsetzen ließe: Er analysierte Architektur, dramaturgische Momente und stilistische Mittel des Spiels, so wie auch Literatur und Filme beispielsweise im Deutschunterricht analysiert werden. Computerspiele könnten so auf historische, künstlerische, sprachliche oder auch politische Aspekte hin untersucht werden. Für den schulischen Einsatz wäre jedoch noch viel zu tun: Zunächst müssten die Berührungsängste mit dem unter Jugendlichen schon selbstverständlichen Medium abgebaut werden, ebenso Bedarf die Lehrerausbildung entsprechender Inhalte.
Für den Aufbau konkreter Lehrkonzepte fehlt derzeit in Deutschland jedoch offenbar der politische Wille. Zwar sind Produktionsverbote derzeit wieder vom Tisch, aber der Computerspielepreis hat erneut gezeigt, dass deutsche Politiker noch weit davon entfernt sind, das Medium Computerspiele vollumfänglich als Kultur zu begreifen. Wie Dr. Kringiel mit Max Payne 2 bewies, kann man nicht nur aus ,Serious Games‘ – also konkreten Lernspielen – etwas lernen.