Es sollte zu einem neuen Distributionskanal werden und die Konkurrenz auf dem vom Platzhirsch Steam dominierten digitalen Markt anfachen. Social Network, Online-Store, bequemer Patcher – all das hätte Origin sein können. Doch Electronic Arts hatte bei der Suche nach einer Position im digitalen Markt einen Mitspieler vergessen: Den Verbraucher selbst.
Der digitale Distributionsmarkt ist schon ein verrückter Schauplatz. Schon bevor Scott Dietzen im Jahr 2003 den Begriff „Web 2.0“ erfand und damit für das wohl inflationärste Marketing-Buzzword im Internetbusiness sorgte, war das Mitmach-Web schon lange Alltag für die Gamer-Community. Foren und das IRC bildeten das Rückgrat aller großen Spielercommunities – dort versorgte man sich mit Informationen, Spiele-Patches, Mods und diskutierte über alles, was irgendwie mit dem jeweiligen Spiel zusammenhing.
Die großen Retail-Publisher erkannten das Potential dieser Web 2.0 Plattform recht spät und so stand plötzlich Valve mit seiner Plattform Steam ganz alleine auf einem Markt, der nur darauf wartete, erschlossen zu werden. Mit Direct2Drive startete nur ein Jahr später der erste größere Konkurrent, doch das Modell einer kompletten Online Service Plattform kam bei den großen Publishern in Form von Ubisofts UPlay erst im Jahr 2009 an. Währenddessen setzt Steam inzwischen laut Angaben von Gabe Newell eine „lächerlich hohe“ Summe um, Brancheninsider schätzen den Marktanteil auf über 80%. Nun hatte auch Electronic Arts den Braten gerochen. Doch wie in einen Markt vordringen, der quasi von einem Monopolisten beherrscht wird?
Erste Stolpersteine
Electronic Arts entschied sich mit Origin zu einem unmittelbaren Konkurrenzprodukt, welches im Wesentlichen die Funktionalität von Steam imitiert. Ob aber ein „me too“ Produkt ausreicht, um einen Monopolisten anzugreifen? Schon zu Beginn der Markteinführung stolperte EA damit über sein eigenes Geschäftsmodell. Man wollte eine Exklusivbindung seiner Flagship-Titel wie Battlefield 3, FIFA und Mass Effect nutzen, um damit die eigene Plattform im Markt zu etablieren. Rückblickend wohl der erste strategische Fehler, denn plötzlich verschwand der bereits auf Steam erhältliche Titel Crysis 2 mysteriös aus dem Store und sorgte für reichlich mediale Aufmerksamkeit. Doch was war geschehen? Während Valve seine eigene, loyale Fancommunity hatte, stieß diese sich immer stärker an den Systemen, die von anderen Publishern im Steam Store platziert wurden. Obwohl Steam damit wirbt, dem Nutzer einen lückenlosen Service aus einer Hand zu liefern, wurde der Komfort der Plattform sukzessive durch zusätzliche DRMs und Kopierschutzmechanismen anderer Publisher zerstört. Wer GTA 4 spielen wollte, musste sich gleich auf drei Plattformen registrieren, manche Spiele nutzten hingegen nicht den Patch-Mechanismus von Steam, sondern scheiterten an den technischen Unzulänglichkeiten von Games for Windows Live, welche der Nutzer zusätzlich in Kauf nehmen musste. Den Unmut der Spieler bekam natürlich auch Valve zu spüren und baute Steamworks zu einem stärker standardisierten System aus, welches wieder für ein lückenloses Gesamterlebnis sorgen sollte. Während einige Publisher dies zähneknirschend und unter Mehraufwand in Kauf nahmen, schoss EA über das Ziel hinaus. Man wollte die eigene Plattform Origin gleich auf Steam huckepack nehmen und am liebsten noch DLCs über Origin verkaufen, an Steam vorbei. Der Ausgang der Geschichte ist allgemein bekannt: die betroffenen EA-Titel flogen hochkant aus dem Steam Store.
Damit hatte Origin keinen guten Start, denn der Zorn der Community ergoss sich nicht über Valve, sondern EA.
Der Spyware-Skandal
Nach diesem verpatzten Start wäre aus strategischer Sicht eine Abgrenzung zu Steam notwendig gewesen, um dem Produkt eine Einzigartigkeit zu verleihen. Steam war schließlich keineswegs ohne Schwächen. Von vielen Spielern werden immer noch die DRM-Komponenten kritisiert, vor allem aber die absolute Blockade gegen den Gebrauchtmarkt, die Valve in Deutschland sogar bis in die höchste Gerichtsinstanz gegen die Verbraucherzentralen durchgesetzt hat. Zahlreiche BGB-Verstöße hatten die Verbraucherzentrale immer wieder in juristische Scharmützel gegen Steam verwickelt, der bekannteste Fall war hier die Abmahnung gegen Steam zum Verkaufsstart von Half-Life 2.
Origin hätte hier durch mehr Verbraucherfreundlichkeit punkten können, denn der Frust über Restriktionen sitzt tief in der Gamer-Community. Unnötige Registrierungen bei Fremdservices, Aktivierungslimits, Online-Zwang oder Rootkits à la SecuROM haben in den letzten Jahren viele enthusiastische Gamer verprellt; jeder Online-Pirat hat mehr Freiheiten als ein ehrlicher Käufer. DRM-freie Spiele und alternative Bezahlmodelle sind inzwischen sogar zu Qualitätskriterien in der Indie-Szene geworden, wie man am Erfolg vom Humble Indie Bundle deutlich sehen kann. Dass EA diese strategische Chance nicht nutzte um sich im Markt zu positionieren, mag unverständlich sein. Dass in Puncto Verbraucherfeindlichkeit aber gleich jede Konkurrenzplattform in den Schatten gestellt wurde, ist geradezu grotesk.
Hier geht es nicht nur um die Frage, ob die Software tatsächlich private Daten überträgt oder nicht. Es geht auch darum, welche Rechte Electronic Arts sich seitens der Verbraucher einräumen lassen will. Hier zeigt sich die ganze Dreistigkeit des Geschäftsmodells: Auf 25 DIN A4 Seiten werden ausführlich die allgemeinen Geschäftsbedingungen und Datenschutzbestimmungen mit viel juristischem Jargon dargelegt. Ein Symptom der Softwareindustrie, sich mit viel juristischem Aufwand gegen alle nur erdenklichen Eventualitäten abzusichern. Bei einem derartigen Aufwand wäre es naiv zu glauben, die Rechtsbrüche seien reine Versehen. Vielmehr findet hier wie bei vielen Wettbewerbern eine Abwägigung zwischen dem Nutzen einer Rechtsbeugung und dem potentiellen Schaden durch Gerichtsverfahren statt. Besonders deutlich wird dies in den Datenschutzklauseln: Bereits während der Beta gab es einen Aufschrei, da EA sich das Recht nahm, die über Origin gewonnen Daten zu Marketingzwecken einzusetzen – ohne explizite Zustimmung des Nutzers, wie es das Bundesdatenschutzgesetz vorsieht. Man reagierte schnell und kündigte an, den Passus zu streichen. Gleichsam aber sah man es (ebenfalls widerrechtlich) nicht als notwendig an, den Endkunden über Änderungen der AGB zu informieren. Und so tauchte der eigentlich gestrichene Passus kurz vor dem Battlefield 3 Release wieder auf – nur um nach erneuter Protestwelle wieder entfernt zu werden.
Zurück ins Web 1.0
Soviel Ignoranz gegenüber Gesetz und Verbraucherwünschen konnte letztlich im Web 2.0 Zeitalter nicht ohne Echo bleiben. Sebastian Radtke gründete den Blog www.theorigin.de, der wiederum zum Zentrum der kritischen Diskussion wurde und als Informationsgrundlage für die Mainstream-Medien diente. Schnell sammelten sich hunderte E-Mails pro Woche von frustrierten und verunsichterten Kunden bei Radtke an, der über seinen Blog mehr Transparenz in der Angelegenheit herstellte, als dies Electronic Arts dem Anschein nach recht war. So tauchten Faxe an Retailer auf, in denen EA die Rücknahme der PC-Version von Battlefield 3 verweigerte. Dazu kamen Erfahrungsberichte von Nutzern und auch technische Analysen, welche die Beschwichtigungen von EA als Lüge straften. Besonders prägnant war hier eine Pressemitteilung von Dr. Olaf Coenen, dem Geschäftsführer der deutschen EA-Niederlassung. Bereits dokumentierte Scanprozesse von Origin verargumentierte er hier als Teil der Installationsroutine. Der Scan anderer Anwendungen werde durch Windows durchgeführt, nicht aber von Origin selbst. Beide Behauptungen lösten sich in Windeseile in Luft auf. User stellten als Beweis Videos ins Netz, welche zugleich die digitale Signatur von Origin auswiesen, darüber hinaus wurden Tutorials zur Verfügung gestellt, um die Überprüfung am eigenen System durchzuführen.
Während EA mit Nebelkerzen wirft, engagiert sich die Spielerschaft unbeeindruckt von der PR-Maschinerie sogar mit einer Petition mit über 11.000 Mitzeichnern. Das Ziel: einen Verkaufsstopp für Battlefield 3 erwirken. Dies ist besonders aus dem Grund beeindruckend, dass die Kritik sich einzig auf Origin, nicht aber auf das Spiel bezieht und die Petition von der Community selbst gestartet wurde – nicht etwa von Verbraucher- oder Datenschützern.
EA wollte mit Origin im digitalen Strom mitschwimmen und verlor sich dabei selbst. Den Kern des modernen Webs ignorierend – der Forderung nach Partizipation und Mitbestimmung – kann eine noch so funktionale Anwendung letztlich keinen Bestand haben. Während Electronic Arts sich mit seiner Distributions- und Kommunikationspolitik selbst ins Web 1.0 Zeitalter zurück katapultiert, ist der Ruf der Verbraucher nach Mitbestimmung lauter denn je. In einem offenen Brief wird mehr Transparenz im Umgang mit Nutzerdaten gefordert, zudem wird der Ruf nach informationeller Selbstbestimmung laut. Die Spieler fordern ihre Verbraucherrechte mit einem Nachdruck ein, der stärker ist als bei früheren Protesten. Gleichwohl reichen sie Electronic Arts die Hand und bieten eine offene Diskussion an, die „für beide Seiten eine gewinnbringende Situation herstellt“.
Eine Diskussionsplattform scheint indessen bereits in Reichweite: Die Piratenpartei bereitet gemeinsam mit der Fachhochschule Köln eine öffentliche Podiumsdiskussion vor an der Anbieter, Verbraucher, Politik und Wissenschaft gleichermaßen beteiligt werden sollen.